Gastbeitrag: Europa vertrauen
Der Wert der EU wird immer deutlicher, je länger sich die britische Politik selbst blockiert, den Menschen eine mehrheitsfähige Vorstellung des Brexit zu vermitteln und durch das Parlament zu bringen. Ein nicht enden wollender Streit, der sich darin erschöpft, was die Briten nicht wollen. Eine Situation, in der unverantwortliche Gegensätze offen zu Tage treten, die dazu führen, dass die eigene Premierministerin im britischen Unterhaus sogar für einen ungeregelten EU-Austritt stimmt. Eine mögliche Verschiebung des Austritts um wenige Wochen, ist nur sinnvoll, sollte es lediglich geringen Änderungsbedarf des Abkommens geben.
Das Friedensprojekt EU erlebt gerade vor dem Hintergrund des Grenzkonflikts zwischen Irland und Nordirland seine Renaissance. Es zeigt, wie wichtig Konflikt- und vor allem Lösungskompetenz sind, um einen konstruktiven demokratischen Streit zu führen – letztlich zu lösen. Dramatisch wäre in diesem Zusammenhang allerdings eine deutliche Verlängerung der Brexit-Verhandlungen bis über die Europawahl hinaus. Ich erwarte von der Bundesregierung in dieser Frage nur zuzustimmen, wenn daran ein zweites Referendum gekoppelt wäre. Die EU-Partner haben sich zu jeder Zeit kompromissbereit und flexibel gezeigt. Doch die Geduld aller Beteiligten ist endlich.
Im Bewusstsein Konflikte untereinander verkleinern und lösen zu müssen, braucht es eine politische Vorstellung darüber, wie die Europäische Union in Zukunft aussehen soll. Es braucht den politischen Willen, die Europäer hinter einer Idee zu versammeln, die Emotionen weckt, die über den Horizont der nächsten Europawahl hinausgeht. Dafür müssen wir Europa die Herausforderungen unserer Zeit endlich zutrauen und als Europäer möglichst geeint auftreten, wenn wir in einer Welt der neuen geopolitischen Gegensätze bestehen wollen.
Europa kann nur bereit sein, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen, wenn es bereit ist, innere Konflikte nach außen hin zu überwinden. Es muss bereit sein, für sein Lebensmodell von Freiheit, sozialer Markwirtschaft und Zusammenhalt in und außerhalb Europas gegenüber linken wie rechten Populisten offensiv einzutreten. Ein französischer Präsident allein reicht nicht, dies zu bewältigen. Es ist die Aufgabe von allen liberalen Demokraten in Europa dafür zu sorgen, dass dieser Kontinent weiter europäisch denkt und nicht in alte nationale Denkmuster verfällt.
Dieser Beitrag wurde zuerst am 15.3.19 im SHZ veröffentlicht.