Gyde Jensen

Guatemala: Am Scheideweg einer Region

Wenn der amerikanische Präsident Donald Trump sich über Hispano-Amerikaner abfällig, teils menschenverachtend äußert, sind es vielmals diese, die aufgrund von wirtschaftlicher Unsicherheit und politischer Gewalt kaum eine andere Wahl haben, als aus ihrer Heimat, dem mittleren Teil der Americaszu fliehen.Dabei müsste doch gerade dieser ein hohes Interesse daran haben, die politische Stabilität der Region zu erhalten.

Denn das Bild Mittelamerikas in der Welt ist häufig von politischen Krisen und humanitären Notlagen gezeichnet. Mittelamerika ist eines der Regionen in der Welt, in denen wirtschaftlicher Wohlstand und sozialer Aufstieg komplett auseinanderfallen. Während die Wirtschaft beständig wächst, leben 70 Prozent der 30 Millionen Mittelamerikaner in Armut, von denen wiederum 50 Prozent von absoluter Armut betroffen sind. 

Diese Zahlen reflektieren ein gescheitertes Entwicklungsmodells der letzten Jahrzehnte, sichtbar durch die stark gestiegenen Zahl der Emigranten und die grassierende Korruption tief verwurzelt in staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Eine Entwicklung, die mit den Demokratisierungsschüben zum Ende des Kalten Krieges eigentlich bessere Vorzeichen hatte, die trotz beachtlicher Erfolge immer noch unvollkommen bleibt.

Exemplarisch dafür steht das kleine Guatemala, dessen aktuell besorgniserregenden Entwicklungen den Scheideweg der Region zwischen neuer Freiheit und Rückfall in dunkle Zeiten der Diktatur darstellen. Guatemala, das durch den Klimawandel durch anhaltende Dürreperioden oder Überschwemmungen wie auch Erdrutschen geprägt ist, auf Platz 144 von 180 des Korruptionsindex von Transparency International steht und bis heute die politischen Freiheiten der eigenen Verfassung nicht verwirklichen konnte.

Eine Chance für ein neues Guatemala

Hoffnung machte vielen Guatemalteken die mehr als ein Jahrzehnt lange Arbeit der UN-Kommission gegen Straflosigkeit und Korruption (CICIG), dessen Ergebnisse sich international sehen lassen können. 

Der kriminelle Ex-Präsident Perez Molina wurde hinter Gitter gebracht, hochrangige Regierungsbeamte des Drogenschmuggels überführt, unzählige Mafia- und Korruptionsnetzwerke aufgedeckt. In dieser Zeit wurden die Rechte von Frauen, Indigen und Minderheiten gestärkt, wichtige Schritte für den Aufbau einer unabhängigen Justiz in einem funktionierenden Rechtsstaat getan, was auch in der weltweit erstmaligen juristischen Aufarbeitung von sexuelle Sklaverei während eines Bürgerkrieges vor einem nationalen Gericht mündete.

Auch wenn das Mandat der CICG von der guatemaltekischen Regierung einseitig aufgekündigt wurde, dürfen wir die Erfolge der Kommission des letzten Jahrzehnts nicht klein reden und müssen weiterhin überzeugend deren Strahlkraft auch auf andere von Gewalt und Bürgerkriegen gezeichnete Länder Mittelamerikas hervorheben. 

Der Versuch der Regierung Guatemalas, die Aufarbeitung schwerster Menschenrechtsverletzungen während der Zeit des Bürgerkrieges zu verhindern, zeigt wie aktuell dieser Kampf um die Gültigkeit der Menschenrechte ist. Völkermord oder Folter dürfen nicht verjähren, Aufklärung muss eine gemeinsame Aufgabe sein, damit dem demokratischen und rechtstaatlichen Guatemala eine Chance bleibt.

Freiheit steht nicht zur Wahl

Heute am 11. August wählen die Guatemalteken in einer Stichwahl eine/n neue/n Präsidentin/en. Haarsträubende Unregelmäßigkeiten in knapp der Hälfte der überprüften Wahllokale sowie Korruption überschattet schon im Vorfeld die Wahlen, zu denen anerkannte Anti-Korruptionskämpfer sogar ausgeschlossen und für ihr politisches Engagement bestraft werden. Keine der Kandidaten für die Präsidentschaft  hat konkrete Schritte gegen die Kriminalität, gegen die Landflucht geschweige denn für die Stärkung politischer Rechte für ein besseres Guatemala vorgelegt. Der Kampf gegen Korruption, gegen steigende Ungleichheit, das sind nicht nur Kämpfe für freiheitliche Werte, es sind vor allem Voraussetzungen für wirtschaftlichen Wohlstand.

Wenn eine der größten Rückabwicklungswellen von Demokratisierungsprozessen die Stabilität einer ganzen Region erschüttert und der Verlust politischer und sozialer Freiheiten droht, darf uns das nicht egal sein. Es ist unser Auftrag, jetzt zu vermitteln, dass nicht eine weitere Diktatur die Korruption im Land austrocknen wird, sondern nur ein funktionierender Rechtsstaat und eine freiheitliche Demokratie.

Die politische Richtung bestimmen nicht die derzeit zur Wahl stehenden Präsidentschaftskandidaten, die an einem echten Wandel kein Interesse haben. Die politische Richtung bestimmen die Menschen, die weiter Hoffnung in ein anderes Guatemala setzen, die sich der grassierenden Korruption entgegenstellen und der Demokratie verpflichtet fühlen. Diese Menschen haben all unsere Unterstützung verdient und daran müssen wir weiter arbeiten.

 

Die Autoren: 

Gyde Jensen ist FDP-Bundestagabgeordnete und Ausschussvorsitzende für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. 

Thelma Aldana ist frühere Vorsitzende des Obersten Gerichts und Generalstaatsanwältin in Guatemala und verhinderte Präsidentschaftskandidatin. Sie wurde 2018 mit dem Right Livelihood Award für ihre außergewöhliche Arbeit gegen Machtmissbrauch und Korruption ausgezeichnet.