Interview: Europa benötigt legale Fluchtalternativen
Was kann Europa tun, um einen weiterer Anstieg zu verhindern?
Der überwiegende Teil dieser Menschen flieht innerhalb der eigenen Landesgrenzen vor Krieg und Verfolgung. Der Großteil derer, die ihr Heimatland verlassen müssen, sucht in der unmittelbaren Nachbarschaft, in der Regel in Entwicklungs- und Schwellenländern, Schutz. Entgegen mancher öffentlichen Debatte will nur ein Bruchteil der Flüchtenden nach Europa, ein noch kleinerer Teil kommt tatsächlich an. Auch nach dem UN-Migrationspakt kooperieren wir weltweit noch zu wenig, um die Lebensbedingungen in den Ländern, aus denen die Menschen fliehen, zu verbessern. Dass es nach wie vor keine sicheren und legalen Fluchtalternativen nach Europa gibt, trägt zur Lösung der Probleme leider auch nicht bei. Es ist wichtig, dass wir uns die Zahlen im globalen Maßstab immer wieder bewusst machen, um zu verdeutlichen, wie wichtig eine gemeinsam abgestimmte Asylpolitik ist. Auch in unserem eigenen Interesse.
Wie kann dieser europäische Ansatz aussehen?
Der letzte Migrationsbericht der Menschenrechtskommission des Europarates offenbart den Zustand von Regellosigkeit, den wir in Europa immer noch nicht überwunden haben. Klarere und einheitliche Richtlinien für den Umgang mit Flüchtlingen allgemein, mit der Rettung von Schiffbrüchigen im Besonderen, sind Voraussetzung dafür, dass an der europäischen Außengrenze das humanitäre Erbe Europas nicht verspielt wird. Seenotrettung durch Nichtregierungsorganisationen als Pflaster für eine fehlende organisierte Migrationspolitik ist unwürdig für Europa. Rettungsmissionen müssen in eine echte europäische Seenotrettung überführt werden, um machtpolitische Spielchen zulasten von schutzsuchenden Menschen zukünftig zu verhindern. Wir benötigen eine europäische Stelle für die Koordinierung der Seenotrettung und die Weiterentwicklung von FRONTEX zu einer echten europäischen Grenzschutzbehörde. Es müssen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Flüchtlinge legal, zum Beispiel in Aufnahmeeinrichtungen unter Aufsicht des UNHCR, einen Antrag stellen können, um geordnet, registriert und ohne Lebensgefahr in Europa Schutz suchen zu können. Wenn wir in Europa unsere Hausaufgaben machen, können wir auch eher Lösungen von anderen einfordern.
Was darf man angesichts zunehmend migrationskritischer nationalen Regierungen von Europa erwarten?
Die Bürger erwarten gerade in diesem Bereich zurecht Lösungen von Europa und eine Bundesregierung, die diese Verantwortung auch in Europa übernimmt. Rechtspopulistische Kriminalisierungskampagnen sind völlig inakzeptabel und legen die Axt an europäische Grundwerte. Ich würde mir wünschen, dass wir endlich von einer gemeinsamen Küste Europas sprechen. Eine europäische Lösung funktioniert auch deshalb nicht, weil der in Deutschland zuständige Bundesinnenminister in dieser zentralen Frage keine wirkliche Vision von einer gemeinsamen Asyl- und Zuwanderungspolitik verfolgt. Die Bekämpfung von Fluchtursachen müssen wir dazu deutlich stärker in den Blick nehmen. Rechtspopulisten führen diese Debatte gerade nicht. Im Gegenteil nützt Ihnen der aktuelle Status Quo der Regellosigkeit. Genau diesen Zustand müssen wir gemeinsam überwinden. Wir fordern daher für die Bundesrepublik ein Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem nach kanadischem Vorbild - ein Modell, das auch in Europa funktionieren könnte.
Dieses Interview erschien zuerst auf der Webseite der Friedrich-Naumann-Stiftung am 19.06.2019.