Interview: Freifahrtschein für Putin, Menschenrechte zu verletzen
Nach heftigen Debatten im Europarat gestern Nacht wurde in der parlamentarischen Versammlung die Geschäftsordnung geändert und Russland das Stimmrecht zurückgegeben. Wie haben Sie die Debatte erlebt?
Die Debatte war kontrovers und zum Teil aggressiv. Unserer Auffassung nach ist die Einschränkung von Sanktionsmöglichkeiten das falsche Signal. Diese Resolution wirkt entsprechend wie eine Kapitulation vor den russischen Drohungen der letzten Monate, ein Freifahrtschein für Präsident Putin, Menschenrechte zu verletzen. Diese Selbstentmachtung des Europarates schadet seiner Glaubwürdigkeit bei Menschenrechten, eine Tatsache vor der die Große Koalition scheinbar nicht zurückschreckt und sich äußerst kooperativ gegenüber russischen Interessen gezeigt hat. Aus unserer Sicht sollte das Auswärtige Amt stärker auf die Einhaltung gemeinsamer Regeln auf europäischer Ebene hinwirken. Es kann nicht im Interesse des Europarates sein, denjenigen zu belohnen, der sich am wenigsten an die Regeln hält.
Es gab heftige Proteste gegen die Änderung der Geschäftsordnung, vor allem von den ukrainischen Delegierten. Warum haben so viele Abgeordnete letzten Endes dennoch für die Änderung gestimmt?
Der Wille zum ‚Appeasement‘ scheint bei vielen immer noch zu überwiegen. Dass Konstantin Kuhle und ich die einzigen Abgeordneten in der deutschen Delegation waren, die gegen dieses Einlenken zugunsten Russlands gestimmt haben, macht mich traurig - besonders von den Grünen hätte ich mehr Rückgrat erwartet. Es ist beschämend, wenn sich eine deutsche Delegation so unkritisch gegenüber der Machtpolitik Putins zeigt. In den Jahren seitdem der Konflikt besteht, gab es kein Entgegenkommen Russlands, das ein Bekenntnis zu den Werten des Europarates erkennen lässt. In der Welt eines Präsidenten Putin dominiert das ‚Recht des Stärkeren‘, statt die ‚Stärke des Rechts‘. Je mehr wir multilateralen Institutionen Durchgriffsmöglichkeiten entziehen, desto weniger wird man sich mit Russland auf ein Entgegenkommen einigen können.
Was für eine Bedeutung hat diese Entscheidung und wie sehen Sie die Rückkehr Russlands in den Europarat?
Ohne ein klares Bekenntnis zu den gemeinsamen Regeln und Werten, wird der Europarat international an Bedeutung verlieren. Deutschland hat eine besondere Verantwortung, die Stellung des Europarates, insbesondere auch für kleinere Mitgliedstaaten, in denen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie keineswegs selbstverständlich sind, zu verteidigen. Wir fordern nicht zuletzt deshalb eine Reform des Sanktionsmechanismus, der es ermöglicht, Staaten wie Russland direkt mit Strafzahlungen zu belegen. Nach seiner Rückkehr muss Russland zeigen, dass es noch bereit ist, die Werte des Europarates zu achten und Menschenrechtsurteile umzusetzen. Daran werden wir Russland weiterhin messen.
Dieses Interview erschien zuerst auf der Webseite der Friedrich-Naumann-Stiftung am 25.06.2019.