Organspende: Keine Tricksereien
Über 9000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, demgegenüber standen im vergangenen Jahr 2995 gespendete Organe. Fakt ist, dass in Deutschland Menschen sterben, weil es zu wenige Spenderorgane gibt. Dass wir nun endlich im Bundestag zwei Gesetzentwürfe zu dem Thema diskutieren, ist höchste Zeit. Ich werde für die verpflichtende Zustimmungslösung stimmen.
Eine große Studie in einer renommierten Fachzeitschrift hat gezeigt, dass bei Widerspruchslösung und Zustimmungslösung die Anzahl der zur Verfügung stehenden Organe gleich hoch ist. Das Argument, dass die doppelte Widerspruchslösung zu mehr verfügbaren Organen führt, zählt also nicht.
Die Entscheidung zwischen den Gesetzentwürfen ist also eine moralische. Es geht darum, ob man Menschen als selbstbestimmte BürgerInnen sieht oder als unmündige Wesen.
Der Vorschlag von Minister Spahn ist entmündigend: Er möchte die Trägheit der Menschen ausnutzen und sie durch den Automatismus der Widerspruchslösung zur Organspende zwingen. Das ist ein eklatanter Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung. Was ich am Regierungsvorschlag besonders drastisch finde: Die Regelung soll bereits für Jugendliche ab 16 Jahre gelten. Das bedeutet, Minderjährige werden automatisch zu Organspendern erklärt, wenn sie nicht widersprechen. Mich stört, dass die Union jungen Menschen eine solch schwierige Entscheidung und die Reflexion über den eigenen Tod zumuten möchte, während sie Jugendlichen des gleichen Alters abspricht, eine fundierte Entscheidung bei der Bundestagswahl zu treffen. Das ist der Inbegriff von Doppelmoral.
Für die Wirksamkeit der Widerspruchslösung wird gerne Spanien als Vorbild genommen. Das Land hat schon 1979 eine Widerspruchsregelung eingeführt und glänzt seit Jahren mit der weltweit höchsten Spenderate. Was dabei gerne unterschlagen wird: Die Zahl der gespendeten Organe stieg erst an, als zehn Jahre später eine zentrale staatliche Transplantationsbehörde gegründet wurde.
Das zeigt uns: Wir müssen Menschen nicht austricksen, damit sie zu Organspendern werden. Entscheidend ist, dass die BürgerInnen dem System vertrauen – der Zwang zur Entscheidung schafft kein Vertrauen. Vertrauen schaffen transparente Prozesse, fundierte Aufklärungskampagnen und ein Staat, der die Mündigkeit seiner BürgerInnen ernst nimmt. So wie im Entwurf zur verpflichtenden Zustimmungslösung.
Korrektur: Leider sind im Beitrag die Begrifflichkeiten durcheinandergeraten. Der Bundestag hat nicht über die „verpflichtende Zustimmungslösung“, sondern über die „erweiterte Zustimmungslösung“ abgestimmt. Eine „verpflichtende Entscheidungslösung“ hatte Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg ins Gespräch gebracht.
Dieser Gastbeitrag erschien am 16. Januar 2020 in der Eckernförder Zeitung.