Perspektiven aus der Corona-Krise für die junge Generation
Die Corona-Pandemie hat Deutschland und Europa schwer getroffen. Sie hat nicht nur die größte Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verursacht. Durch Kontaktbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen wurde auch das soziale Leben massiv eingeschränkt. Dank der Anstrengungen und der Disziplin vieler Menschen, dank beispielloser staatlicher Eingriffe und dank neuer Erkenntnisse in Wissenschaft und Medizin ist das Corona- Virus inzwischen zwar nicht besiegt, aber beherrschbarer geworden. Die weltweite Entwicklung der Infektionszahlen und regionale Ausbrücke hierzulande zeigen, dass die Herausforderungen durch die Pandemie weiter bestehen. Trotzdem müssen Politik und Gesellschaft Wege aus der Krise aufzeigen.
Dabei wird immer klarer, dass besonders junge Menschen unter der Corona-Krise leiden. Familien und Kinder waren von geschlossenen Betreuungseinrichtungen betroffen. Schülerinnen und Schülern fehlten die nötige Infrastruktur und die Anbindung an das Lernen in Gruppen, in denen sich Chancengerechtigkeit oftmals leichter herstellen lässt als zu Hause. Bei Studierenden brachen Praktika und Nebenjobs weg. Auszubildende erleben Kurzarbeit und Einstellungsstopps. Oftmals verzögerte sich für junge Menschen der Start ins Berufsleben oder in Aussicht gestellte Arbeitsplätze fielen gleich ganz weg.
Eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ergab, dass mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen durch die Corona-Krise seelisch belastet sind. Stress, Angst und Depressionen unter Kindern und Jugendlichen haben demnach zugenommen. Während sich ein Großteil der politischen Anstrengungen der letzten Wochen und Monate auf die Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie konzentriert, fehlt eine politische Vision zur Abfederung der Corona-Belastungen für die jüngere Generation. Für junge Menschen darf die Corona-Krise nicht zum bestimmenden Faktor ihres weiteren Lebenswegs werden. Die Politik muss jungen Menschen mehr Chancen und Freiräume eröffnen.
Vor diesem Hintergrund sollten sich Bund und Länder nach der Sommerpause intensiv mit folgenden Themen beschäftigen:
- Offensive für digitale Bildung: Die Corona-Krise hat gezeigt, dass unsere Schulen noch nicht im digitalen 21. Jahrhundert angekommen sind. Wir brauchen einen Digitalpakt 2.0, der endlich auch Mittel für die digitale Weiterbildung von Lehrkräften bereitstellt. Denn die Technik allein macht noch keine gute digitale Bildung aus. Sie lebt von didaktischen Grundlagen und der Innovationskraft der Schulen. Auch der Digitalisierungsschub an unseren Hochschulen darf nach der Krise nicht einfach verpuffen. Dazu braucht es eine Qualitätsoffensive in der Lehre, etwa um die Physik-Professorin aus Madrid und den Philosophie-Kurs aus Paris auf dem eigenen Tablet für jeden verfügbar zu machen. So schaffen wir Chancen für Weiterbildung und persönliche Entwicklung – und zwar unabhängig vom Wohnort, von finanziellen Möglichkeiten oder eingeschränkter Mobilität.
- Obergrenze für Minijobs erhöhen: Viele junge Menschen haben einen 450-Euro-Job. Auf diese Weise ist ein unkomplizierter Hinzuverdienst neben anderen Tätigkeiten möglich. Durch die festgeschriebene Verdienstgrenze von 450,- € profitieren junge Menschen jedoch weder von der allgemeinen Lohnentwicklung noch von einer Mindestlohnerhöhung. Die letzte Erhöhung der Obergrenze erfolgte zum 1. Januar 2013. Es ist daher längst überfällig, die Verdienstgrenze für Minijobs sofort auf 560 Euro anzuheben. Junge Menschen, die nach dem Wegfall ihres 450-Euro-Jobs kein Kurzarbeitergeld erhielten, haben bei einer Erholung der Wirtschaft auf diese Weise in den kommenden Monaten mehr Geld zur Verfügung. Außerdem muss die Verdienstgrenze zukünftig mit der Mindestlohnentwicklung automatisch angepasst werden. Die Verdienstgrenze bei geringfügiger Beschäftigung muss immer das 60-Fache des jeweils gültigen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns betragen.
- Nachholfaktor in der Rentenpolitik: Der Politik fehlen finanzielle Spielräume zur Unterstützung der jungen Generation. Die Rentenpolitik von CDU, CSU und SPD geht voll zu ihren Lasten. Ob durch teure Wahlgeschenke wie die sogenannte Mütterrente und die Rente mit 63 oder eine in keiner Weise seriös finanzierte Grundrente, die nicht einmal zielgenau gegen Altersarmut wirkt – immer wieder wird etwas auf den Weg gebracht, das die junge Generation belastet. Schon vor mehr als 10 Jahren wurden die Schutzklausel und der Nachholfaktor bei der Rente eingeführt. Damit war gewährleistet, dass sich Löhne und Renten langfristig immer im Gleichklang entwickeln. Union und SPD haben 2018 aber den Nachholfaktor ausgesetzt und damit die Rentenformel manipuliert. Diese Aussetzung muss sofort rückgängig gemacht werden, damit die öffentlichen Finanzen nicht einseitig zulasten kommender Generationen saniert werden. Es ist absurd, wenn die Renten nach der Corona- Krise stärker wachsen könnten als die Löhne und eben nicht im Einklang mit der Lohnentwicklung sind. Auf die Rentenformel müssen sich alle Generationen verlassen können.
- Elternunabhängiges BAföG: Junge Menschen sind eigenständige Persönlichkeiten, die mit der Wahl ihrer Ausbildung die Weichen für ihre Zukunft stellen. Sie sollen ihren Talenten folgen und die Wahl ihrer Ausbildung frei und ohne Geldsorgen treffen können – unabhängig vom Unterstützungswillen oder von der Unterstützungskraft der Eltern. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die bisherige Studienfinanzierung weder individuell noch krisenfest ist. Die Ausbildungsförderung soll aber genauso flexibel sein wie der individuelle Lebensentwurf junger Menschen. Ein grundlegender Systemwechsel hin zu einer elternunabhängigen Ausbildungsförderung in Form eines Baukasten-BAföG ist überfällig, damit das BAföG wieder zum echten Bildungsaufstiegsgesetz wird.
- Unterstützung für die Berufliche Bildung: Die Corona-Pandemie hat auch die berufliche Aus- und Weiterbildung hart getroffen. Berufsorientierung, Bewerbungsverfahren und Vertragsabschlüsse werden deutlich verzögert. Aktuelle Prognosen rechnen mit einem Rückgang des Ausbildungsplatzangebots um 7 bis 10% im Vergleich zum Vorjahr. Die berufliche Ausbildung bietet jungen Menschen auch in Krisenzeiten eine starke berufliche Perspektive und den ausbildenden Betrieben künftige Fachkräfte. Klare Öffnungs- und Wachstumsperspektiven für die Wirtschaft sind die beste Sicherung von Ausbildungsplätzen. Die Berufsorientierung sollte mit digitalen Formaten und praxisorientierten Einheiten an allen Schulformen verstärkt werden. Auch Berufsschülerinnen und Berufsschüler brauchen einen Digitalpakt 2.0 mit Investitionen in die digitale Lehrerfortbildung. Eine Exzellenzinitiative Berufliche Bildung soll zudem bundesweit Innovationen in der beruflichen Bildung vorantreiben.
- Klimaschutz durch Emissionshandel und CO2-Limit: Auch in der Corona-Pandemie sehen viele junge Menschen den Klimawandel und seine Folgen als große Herausforderung für Politik und Gesellschaft. Es ist nicht nur moralisch geboten, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, die Erderwärmung durch das industrielle Zeitalter auf 1,5 °C bis 2100 zu begrenzen. Dafür muss sich die Politik auf solide wissenschaftliche Grundlagen und internationale Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen stützen, die Forschung weiter ausbauen, die Minderung von CO2-Emmissionen fördern und nachhaltiges Wirtschaften vorantreiben. Außerdem müssen die Folgeschäden des Klimawandels eingedämmt werden. Eine Senkung der Emissionen kann nur durch ein staatlich festgelegtes CO2-Limit und durch einen echten sektorübergreifenden Emissionshandel gelingen, der sich am 1,5-Grad-Ziel orientiert.
- Kinderchancengeld: Unter der Corona-Krise haben Kinder besonders gelitten. Kind zu sein bedeutet, sich auszuprobieren, Freundschaften zu schließen und zu lernen – all dies war in den vergangenen Monaten nicht oder nur eingeschränkt möglich. Entwicklungs- und Bildungschancen sind für alle Kinder Grundlage für den späteren Lebensweg. Die Corona- Krise war hingegen ein Motor für Kinderarmut. Um finanzielle Belastungen für Familien abzufedern und die negativen Auswirkungen von Kinderarmut auszugleichen, stehen aktuell über 150 verschiedene familienpolitische Leistungen des Bundes zur Verfügung. Um Kindern echte Chancen zu bieten, müssen die kindesbezogenen Leistungen durch ein Kinderchancengeld radikal reformiert, fokussiert und zusammengelegt werden. Kinder müssen dabei in den Mittelpunkt der familienpolitischen Förderung gestellt werden.
- Sonder-Wohngeld für Corona: Corona bedeutet für viele junge Menschen erhebliche Einschnitte beim Wohnen. Wohnungen zu finden wird schwerer, weil Besichtigungen ausfallen und freiwerdende WG-Zimmer aus Angst vor Ansteckung nicht angeboten werden. Durch das eingeschränkte öffentliche Leben fallen zudem Nebenjobs weg. Wer bei überschaubarem Einkommen in den Beruf gestartet ist, verliert jetzt Aufträge oder es bleibt im Falle von Kurzarbeit zwar der Job, aber kaum Geld über die Miete hinaus. Damit junge Menschen ihre Wohnung in der Krise nicht verlieren und gezwungen sind, wieder bei den Eltern einzuziehen, wollen wir ein Sonder-Wohngeld für die Dauer der Corona-Zeit einführen. Ohne aufwendige bürokratische Prüfung greifen wir damit denen unter die Arme, die jetzt schnelle Hilfe brauchen.
- Europäische Perspektive erhalten: Die Corona-Krise war in Europa geprägt von nationaler Abschottung. Grenzen im Schengen-Raum wurden wieder hochgezogen, Reisen in andere EU-Staaten waren untersagt und das Austauschprogramm für Studierende und Auszubildende, Erasmus+, wurde weitestgehend ausgesetzt. Damit die Grenzen nach der Corona-Krise nicht in den Köpfen wachsen, ist es daher umso wichtiger, Austauschprogramme nach dem Ende der Corona-bedingten Einschränkungen zu fördern und auszubauen. Denn jedem jungen Menschen muss es möglich sein, einen Teil oder seine ganze Ausbildung in einem anderen Land der Europäischen Union zu absolvieren. Austauschprogramme in Bildung, Sprache, Sport oder Kultur sind dabei wertvolle Investitionen – nicht nur in Aus-, Bildungs- und Weiterbildungschancen, sondern auch in eine europäische Bürgerschaft. In den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der Europäischen Union müssen Austauschprogramme wie Erasmus+ daher mehr Mittel erhalten.
- Wahlalter: Während Kitas und Schulen wegen der Corona-Pandemie geschlossen sind und viele junge Menschen um ihre Ausbildungs- und Arbeitsplätze bangen, hat die Große Koalition die Grundrente eingeführt und damit langfristige, zusätzliche Lasten für die junge Generation geschaffen. Dieses Ungleichgewicht lässt sich auch mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Herbst erklären: Mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten wird 60 Jahre oder älter sein. Es ist Zeit, auch der jungen Generation eine hörbare Stimme zu geben und das aktive Wahlalter bei der Bundestagswahl auf 16 Jahre abzusenken. Junge Menschen sind politisch interessiert und müssen ernst genommen werden. Mehr Mitbestimmung für junge Menschen stärkt unsere Demokratie und die Generationengerechtigkeit.
- Digitale Infrastruktur: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land noch längst nicht erreicht ist. Das Bedürfnis nach telemedizinischer Versorgung, digitalen Verwaltungsservices, Arbeit im Home Office und der Teilnahme an Online-Unterricht für Schülerinnen und Schüler, Azubis und Studierende auf dem Land ist in den letzten Monaten sichtbar geworden. Die Voraussetzung hierfür ist die flächendeckende Versorgung jeder Kommune mit hochleistungsfähigen Anschlüssen, sowie einem leistungsstarken Mobilfunknetz. Perspektivisch müssen Verbindungsgeschwindigkeiten von mindestens 1 Gigabit pro Sekunde in ganz Deutschland erzielt werden.
Nicole Bauer MdB – Dr. Jens Brandenburg MdB - Mario Brandenburg MdB – Katrin Helling-Plahr MdB – Gyde Jensen MdB – Marcel Klinge MdB – Lukas Köhler MdB – Konstantin Kuhle MdB – Roman Müller-Böhm MdB – Matthias Nölke MdB – Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen – Matthias Seestern-Pauly MdB – Benjamin Strasser MdB – Johannes Vogel MdB – Katharina Willkomm MdB