Gyde Jensen

Rede: Staatliche Gewalt reflektieren

Sehr geehrte Damen und Herren,

überall dort, wo Macht unkontrolliert ausgeübt wird, wird diese auch missbraucht. Das gilt auch, vielleicht sogar gerade, für staatliches Handeln. Deshalb ist es so wichtig, dass die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter dorthin geht, wo staatliche Macht besonders stark wirkt: In Justizvollzugsanstalten, in psychiatrische Kliniken, in Polizeistationen, in Pflegeeinrichtungen und in viele Einrichtungen mehr.

Die nationale Stelle zur Verhütung von Folter weist auf Missstände hin, lobt, wo es angebracht ist und unterstützt die Mitglieder des Parlaments dabei, Missstände zu erkennen und zu beheben – national wie föderal. Der Staat darf Freiheit nur einschränken, wenn der Gesetzgeber vorher eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen hat. Dass der Staat sich nicht immer an seine eigenen Regeln hält, wissen wir alle. Und ich will Ihnen anhand von drei Beispielen rund um das Thema Freiheitseinschränkung zeigen, weshalb Ihre Arbeit, die Arbeit der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, so wichtig ist.

1. Erst letzte Woche hat das Anti-Folter-Komitee des Europarates „unverhältnismäßige und unangemessene“ Gewaltanwendung bei Abschiebungen in Deutschland kritisiert. Ich bin der Meinung, wir sollten die Vorwürfe eines anerkannten menschenrechtlichen Gremiums in Deutschland immer besonders ernst nehmen. Denn Abschiebungen sind sehr persönliche Eingriffe und erfordern besondere Umsicht. Denn die Durchsetzung klarer Regeln darf nicht dazu führen, dass menschliche Grenzen überschritten werden. Es ist die Verantwortung von Minister Seehofer, Bundespolizisten auf solche zwischenmenschlichen Extremsituationen so vorzubereiten, dass Menschen nicht misshandelt werden und diese Situationen am besten gar nicht entstehen. Ich hätte mir gewünscht, dass das Bundesinnenministerium mit einem Statement hier proaktiv und schnell reagiert, was leider nicht geschehen ist.

2. Wie man es gut machen kann, hat die Nationale Stelle bei einem Abschiebeflug in Halle/Leipzig beobachtet. Die Polizei ergriff präventive Maßnahmen zur Deeskalation und versuchte, im Rahmen des Möglichen eine zumutbare Atmosphäre zu schaffen. Eine Spielecke für abzuschiebende Familien mit Kindern trägt beispielsweise zum Gelingen der Maßnahme bei und verringert erheblich die persönlichen Belastungen für die Betroffenen. Uns darf niemals das Bewusstsein fehlen, dass für den Einzelnen eine Abschiebung wider Willen eine höchstpersönliche Angelegenheit ist.

3. Es kommt auch zu rechtlichen Fehlern. Es kann uns nicht egal sein, wenn Menschen ohne tatsächliche Rechtsgrundlage in Gewahrsam genommen werden, wo sie dann über Stunden auf den Abschiebeflug warten müssen. Ein Freiheitsentzug muss immer eine wirkliche Rechtsgrundlage haben. Eine effektive Schulung von Beamten ist elementar dafür, bei Abschiebungen Mängeln und Rechtsverletzungen vorzubeugen, aber auch dafür sich ganz persönlich sicher zu sein, rechtmäßig zu handeln.

Wir müssen als Politiker daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Der Bericht, der heute vorgestellt wird, ist auch in diesem Jahr ein Arbeitsauftrag für die Politik. Die wirkliche Welt an den Maßstäben der Gesetze zu prüfen, ist eine Arbeit und Leistung der nationalen Stelle, die auch uns Abgeordnete im Parlament voranbringt. Nur eine effektive tatsächliche Kontrolle kann letztlich gewährleisten, dass das formelle Recht und die tatsächliche Praxis so deckungsgleich wie möglich sind. Dazu beizutragen ist der wesentliche Erfolg der Arbeit der nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Sie leisten einen äußerst wertvollen Beitrag zur Gewährleistung des Rechtsstaats in einem äußerst grundrechtssensiblen Bereich staatlicher Gewaltverhältnisse.

Vielen Dank.